Dominikaner, Dr. der Theologie, „Parisius educatus“ (vgl. die Vorrede „Vitam bonam…“), † um 1485/86.

In der wissenschaftlichen Literatur sowie in Bibliothekskatalogen wird die „Postilla“ nur selten Guillelmus Parisiensis zugeschrieben. Vereinzelt ist sie unter Pseudo-Guillelmus gestellt. Meist aber wird sie unter Johannes Herolt (†1468 in Nürnberg) verzeichnet. Diese Zuweisung geht auf Nicolaus Paulus zurück, nach dem die „Postilla super evangelia“ 1437 und die „Postilla super epistolas“ 1439 entstanden, jedoch ungedruckt blieben.

Die Schwierigkeiten der Autorenzuschreibung können ohne Aufarbeitung der handschriftlichen Überlieferung des Heroltschen Werkes — von Guillelmus sind keine Handschriften bekannt — noch nicht befriedigend geklärt werden.

Die Untersuchung der Inkunabelausgaben kommt vorläufig zu folgenden Ergebnissen:

Die mehr als 100 unter dem Namen des Guillelmus Parisiensis überlieferten Ausgaben der „Postilla super epistolas (dominicales de tempore et de sanctis) et super evangelia (dominicalia et de sanctis) secundum sensum litteralem“, zeigen in Textfassung, Reihenfolge der Sermones sowie im Register eine — nur in drei Ausgaben (Nr 11981–11983) abweichende — bemerkenswerte Übereinstimmung. Die „Postilla“ basiert mit Sicherheit auf dem gleichnamigen ungedruckt gebliebenen Werk des Dominikaners Johannes Herolt („Postilla Discipuli … “), das in zahlreichen Handschriften überliefert ist und dessen Entstehungszeit (aufgrund der Münchener Hss Clm 15182 und 13568) bekannt ist.

Guillelmus Parisiensis, der sich im Prolog („Bonam vitam …“) vorstellt, darf nicht als Autor, wohl aber als Herausgeber und Bearbeiter gelten. Wann er die „Postilla“ Herolts für den Druck vorbereitete, ist ohne Einbeziehung deren handschriftlicher Überlieferung nicht zu klären.

Die für Herolt, der sich in keinem seiner Werke namentlich nennt, charakteristische Bezeichnung „Discipulus“ taucht in den unter dem Namen des Guillelmus Parisiensis erschienenen Drucken nicht auf. Lediglich in der Erstausgabe GW 11921 blieb in der Zwischenüberschrift zum „Commune sanctorum“ das Wort „Discipulus“ stehen („Incipit postilla Discipuli de communi sanctorum“).

Ein Vergleich der Inkunabelausgaben mit einigen Handschriften der „Postilla Discipuli“ des Johannes Herolt lässt erkennen, dass Guillelmus Parisiensis redaktionelle und textliche Veränderungen lediglich am Evangelien-Teil vorgenommen hat. Einige Predigten sind im Umfang stark erweitert, andere dagegen gekürzt worden. Zwischen Predigtthema und (Heroltschen) Predigtinitium („Ante initium hodierni evangelii …“) ist in den Drucken des Guillelmus der Satz „Historia huius evangelii facta est anno …“ eingefügt, wobei noch zu klären ist, ob er zur Textbearbeitung gehört oder aus einer bestimmten Handschrift stammt. Zu den Besonderheiten des Guillelmus gehört auch die indirekte Datierung nach der Mora, die sich zum Ende des Evangelien-Teils findet (vgl. die Übersicht nach der „Mora“).

Im Gegensatz zur nur handschriftlich überlieferten „Postilla“ des Johannes Herolt liegen seine „Sermones“ gedruckt vor. Die Predigtthemen stimmen in beiden Werken zwar teilweise überein, nicht aber die ausführlichen Predigten, die die eigentliche Autorenleistung darstellen.

Für die Ansetzung im GW gab die durchgehend mit dem Namen des Guillelmus Parisiensis verbundene Überlieferungsgeschichte der Druckausgaben den Ausschlag, zumal keine Ausgabe unter Herolts Namen oder unter „Discipulus“, und zwar in voller Übereinstimmung mit den handschriftlichen Texten, erschienen ist.

Die „Postilla“ des Guillelmus Parisiensis gliedert sich, entsprechend den Perikopen des Kirchenjahres, in den Epistel- und Evangelien-Teil (einschl. „Commune sanctorum“ u. „Evangelium pro defunctis“), wobei beide Teile unterschiedlich angeordnet und die kurzen Lemmata durch ein vollständiges Bibelzitat ersetzt sein können. Die Tradition des mit dem Evangelien-Teil verbundenen Illustrationszyklus beginnt 1482 (Nr 11984) in Lyon.

Die Predigtthemen für den Epistel-Teil: „Fratres scientes hora est … (Röm 13,1) und für den Evangelien-Teil: „In illo tempore cum appropinquasse(n)t Ihesus …“ (Mt 21,1) finden sich auch bei Herolt, Johannes: Sermones discipuli super epistolas de tempore sowie im Plenarium (Epistolare et evangeliare).

Zu den Beziehungen zum „Plenarium“ vgl. die Ausführungen unter 2.2.

Mit Hilfe der Predigt-Initien lassen sich die den Autoren zuzuschreibenden Texte unterscheiden.

Bei Guillelmus lauten sie für den Epistel-Teil: „Fratres scientes quia hora est iam nos de somno surgere. Verba … Ante initium illius epistolae scribit S. Paulus … Nemini quicquam debeatis nisi ut invicem diligatis. Qui enim …“, für den Evangelien-Teil: „Cum appropinquasse(n)t hierosolimis. Math. xxi. … Historia huius evangelii facta est anno christi xxxiij. xiij kal. aprilis. … Ante initium hodierni evangelii Joh. xij ante sex dies paschae in sabbato …“

Die Reihenfolge der Predigten, die sich aus den von Schneyer (Ms) zusammengestellten Initien ergibt, kann die Identifizierung der Fassungen der „Postilla“ des Johannes Herolt und der des Guillelmus Parisiensis sowie der „Sermones“ des Johannes Herolt erleichtern. Durch die Untersuchung aller Inkunabeldrucke ergeben sich jedoch einige Korrekturen zu Schneyer (Ms) [JH = Johannes Herolt, GP = Guillelmus Parisiensis.

Die unter Guillelmus’ Parisiensis Namen edierten Ausgaben überliefern die Predigten in der Reihenfolge

Evangelien-Teil: JH 3o6–347, [GP 254. JH 348–365, [GP 275, JH 366–391, [GP 353], JH 392– 407.

Epistel-Teil: JH 408–476, JH 528–576.

Die Predigt-Texte JH 477–527, die Schneyer (Ms) „Sermones variantes seriei praecedentis“ überschreibt, stimmen mit den „Sermones discipuli de epistolas“ des Johannes Herolt überein. Die „Sermones“ entstanden 1444 und wurden im 15. Jh. gedruckt.

Den Epistel-Teil überschreibt Schneyer: „Postilla super epistolas dominicales secundum sensum litteralem (Sermones plurimi huius seriei a Guillermo Parisiensi O.P. editi sunt)“. Diese Überschrift wäre an den Anfang des Evangelien-Teils zu stellen (JH 306ff.), da auch dieser unter dem Namen des Guillelmus Parisiensis ediert ist.

Die Sermones GP 254, 275 u. 353 sind von Schneyer möglicherweise irrtümlich in die JH-Initienfolge eingefügt worden, denn es handelt sich nicht um originale Texte von Guillelmus, sondern es sind gleichfalls Heroltsche Predigten. Sie finden sich z. B. in der Berliner Handschrift der „Postilla Discipuli …“ (Ms Lat. qu. 746, fol. 159–275).

Lediglich die Ausgabe Nr 11981 weicht in der Anordnung der Predigten ab. Sie ordnet, vergleichbar dem „Plenarium“, die Sermones des Evangelien-Teils mit denen des Epistel-Teils in folgender Reihung ineinander: JH 4o8, 3o6, 409, 307 usw. Im „Commune sanctorum“ ist die Anordnung wie folgt: JH 552, 553, 388, 389, 554–564, 391–395, 565–569, 396–400, 570–573, 401, 402, 574–576, 403, 405–407.

Eine Ausnahme innerhalb der unter dem Namen des Guillelmus Parisiensis edierten Predigttexte stellen die 1500 in Lyon erschienenen Ausg. Nr 11982 und 11983 dar. Nach Schneyer (Ms) ist diese stark erweiterte Fassung als das eigentliche Werk des Guillelmus Parisiensis anzusehen. Schneyer benutzte sie in einer Ausgabe Lyon 1519, die diese Texttradition fortsetzt, denn die dortigen Predigten GP 1–154, 156–370 (GP 155 fehlt) entsprechen Nr 11982 und 11983. Diese Predigtfolge ist gegenüber der des Johannes Herolt stark verändert und erweitert, doch stimmen nicht wenige Predigten im Wortlaut mit den entsprechenden der JH-Folge überein. Der Hinweis von Schneyer „Plures quam 100 Edd., cf. Hain 8225–8299“ ist irreführend, da diese den oben beschriebenen Normalfassungen entspricht.

Im Evangelien-Teil jedoch gibt es eine Reihe von Sermones (ab GP 178ff.), die von der Heroltschen Vorlage textlich abweichen. Der Autor nennt sie auch nicht „Postilla“, sondern überschreibt sie mit „Expositio litteralis“ bzw. „Expositio moralis“.

Ob es sich bei dieser erweiterten Ausgabe tatsächlich um die Originalfassung des Guillelmus Parisiensis handelt, lässt sich allein nach der Drucküberlieferung nicht entscheiden. Die Vorrede des Antonius Iulianus an den Verleger macht es wahrscheinlich, dass diese Ausgabe, 15 Jahre nach dem Tod von Guillelmus erschienen, überarbeitet und ergänzt wurde. Damit ergibt sich ein weiterer Klärungsbedarf der Autoren- und Bearbeiterfrage hinsichtlich der „Postilla“.

Die „Postillen“, deren Entwicklung zu Lesepredigten sich an der Buchgestaltung gut nachvollziehen lässt, erfuhren bis zum 16. Jh. eine ähnlich weite Verbreitung wie die „Plenarien“, von denen der Bilderkanon übernommen wurde und an deren Textstruktur sich die Ausgabe Nr 11981 noch anlehnt.

Vgl. Quétif I 868. — Sbaralea I 349–350. — Kaeppeli II 2393 u. IV S. 154–155 (Johannes Herolt). — Verf.Lex.² III Sp. 1123–1127 (Johannes Herolt). — Paulus, Nicolaus: Johann Herolt und seine Lehre. In: Zeitschrift für katholische Theologie 26(1902) S. 417–447. — Goff, Frederick R.: The Postilla of Guillermus Parisiensis. In: Gutenberg-Jahrbuch 1959 S. 73–78. — LThK² X 1147. — Langer, Gottfried: Von der „Mora“ und deren Jahreszahl in der Postilla des Guillermus Parisiensis. In: Gutenberg-Jahrbuch 1971 S. 82–90. — André Derville in Dictionnaire de spiritualité 6(1967) Sp. 1229. — Schneyer, Johannes Baptist: Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters. T. II: Für die Zeit von 1350–1500. Unkorrigiertes Manuskript aus dem Besitz der Ruhr-Universität Bochum. Katholisch-theologische Fakultät. 1990–1994. (II,3 S. 462–484: Guillermus Parisiensis. II,5 S. 819–868: Johannes Herolt) [zitiert: Schneyer (Ms), GP bzw. JH].